In einem kurzen Interview hat uns Sylvia Föhr, Qualitätsmanagementbeauftragte bei der AWO pro:mensch, mit auf eine kleine Reise durch die Welt des Qualtitätsmanagement genommen.
Sylvia, du bist Qualitätsbeauftragte bei der AWO. Erzähl doch mal, wie kommt man zu dem Job?
Ich habe in den 1980er Jahren Diplom-Pädagogik studiert, weil ich – geprägt durch die linke Szene im damaligen Westberlin – die Welt verändern wollte. Und ich dachte, es macht Sinn, damit bei den Kleinsten anzufangen. Nach dem Studium habe ich eine Weiterbildung zur Supervisorin gemacht. Organisationsentwicklung fand ich schon damals ein total spannendes Thema. Nach Jahren im Betreuungsdienst in AWO-WGs für Menschen mit geistiger Behinderung bin ich 1995 Koordinatorin für Behindertenhilfe im AWO LV geworden. Das war die Zeit, in der Qualitätssicherung in den Gesetzen verankert wurde, die berufliche Praxis jedoch nach meiner Erfahrung noch ziemlich weit entfernt von fachlicher Systematisierung war. Mein Auftrag lautete „Sie machen jetzt QM.“ Ich war völlig ahnungslos und habe mich eingearbeitet. Und habe sehr schnell erkannt: hier geht es um Organisationsentwicklung. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen und wurde der rote Faden in meiner beruflichen Vita.
Nicht alle Kolleg*innen schreien „hurra“, wenn es heißt: Heute QM-Sitzung! Woran könnte das deiner Einschätzung nach liegen?
QM hat einfach ein staubtrockenes Image. QM ist Bürokratie, QM ist lästige Dokumentation, QM ist Freiheitsberaubung. QM ist das, was man auch noch machen muss, obwohl man viel lieber fachlich arbeiten würde und eh keine Zeit hat.
Einiges daran stimmt ja. Es gibt einfach reichlich gesetzliche und behördliche Vorgaben, die umgesetzt werden müssen, und die früheren Versionen der ISO 9001, auf der unser QM-System fußt, haben auch dazu beigetragen. Einen weiteren Anteil am schlechten Image von QM haben leider oft wir „QMer“ selbst, wenn wir die Übersetzung in die und den Austausch mit der Praxis nicht gut hinkriegen.
Was macht für dich ein gutes Qualitätsmanagement aus?
Ein gutes QM wirkt unterstützend, um die vielfältigen Anforderungen, die an unsere Arbeit gestellt werden, so gut und so einfach wie möglich umzusetzen. Es bildet gleichzeitig die fachliche Arbeit ab. Dafür braucht es die Expertise und Erfahrung vieler Kolleg*innen. Nach meiner Überzeugung gibt es nicht auf der einen Seite die fachliche Arbeit und auf der anderen Seite das QM-System.
Ein gutes QM ist außerdem flexibel. Es bindet veränderte Anforderungen gut ein und ist jederzeit offen für Verbesserungen.
Qualitätsprüfung kommt ursprünglich eher aus dem wirtschaftlichen Sektor. Was ist die Herausforderung, ein verlässliches QM-System für soziale Dienstleistungen zu implementieren?
Bei einem Produkt kann ich schauen: Ist es so geworden, wie es sollte? Funktioniert es?
Diese Denkweise kann man schlecht 1:1 auf unsere Arbeit übertragen nach dem Motto: ich habe hier einen Menschen mit einem Hilfeziel, dann mache ich mal etwas Pädagogik oder Beratung, und am Ende ist der Mensch so, wie er sein soll. Das ist nicht nur unmöglich, es ist auch unethisch.
Deshalb müssen wir uns darauf fokussieren, unsere Strukturen, Abläufe und Kompetenzen so zu organisieren, dass sie eine verlässliche Basis für gute Arbeit bieten. Und gleichzeitig die Spielräume gewährleisten, die wir benötigen, um auf jeden Menschen individuell eingehen zu können.
Warum ist QM so wichtig für einen Verband wie die AWO?
Das QM-System der AWO ist in einer Zeit entstanden, in der wir als Verband feststellen mussten, dass eine Professionalisierung von Managementstrukturen dringend erforderlich ist.
Mit dem AWO QM-Konzept ist es gelungen, bundesweit einheitliche Qualitätsstandards für AWO-Einrichtungen verschiedenster Art festzulegen und zu implementieren, die von Fachexperten in der AWO erarbeitet wurden. Wir waren damit beispielsweise im Kitabereich unserer Zeit voraus. Einige Merkmale guter Kita-Arbeit, die später im Berliner Bildungsprogramm verankert wurden, standen schon vor 20 Jahren in der AWO Norm Kita.
QM hat damit aus meiner Sicht insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung und damit auch zur Existenzsicherung geleistet.
Und es hilft nach wie vor. Zu Beginn der Corona-Krise haben wir bei pro:mensch z.B. festgestellt, dass unsere etablierten Strukturen uns ermöglicht haben, sehr schnell die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
QM meets Digitalisierung – siehst du darin eine Chance?
Unbedingt. Wir sind gerade dabei einige sehr spannende Ideen zu entwickeln, wie wir die Digitalisierung nutzen können, um das QM-System besser zu den Kolleg*innen zu bringen und in einen Dialog zu kommen. Das staubtrockene QM war gestern.
Danke, Sylvia, für dieses sehr erfrischende Interview! Toll, dass du Team AWO bist!