Ein Zwischenruf der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege

Berlin, 23.11.2020. Die Wohlfahrtsverbände gibt es in Deutschland seit mehr als 150 Jahren. In diesen zurückliegenden Jahrzehnten haben immense gesellschaftliche Veränderungspro-zesse stattgefunden. Die Mitarbeiterinnen haben in jeder Generation versucht, Lösungen für die Menschen zu finden, um Leid zu lindern, Antworten auf Hass und Ausgrenzung zu geben und Mut zu spenden.

Die Covid-19-Pandemie stellt jeden von uns sowie unsere ganze Gesellschaft vor Herausforderungen, die wir uns nicht vorstellen konnten. Das Virus hat unseren Alltag verändert und beherrscht das Leben seit über acht Monaten. In ganz kurzer Zeit mussten wir uns alle darauf einstellen und die Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche mussten Hygienekonzepte und neue Rahmenbedingungen entwickeln. Begriffe wie Lockdown, Teststrategien, Homeschooling und FFP2-Masken sind jetzt selbstverständlich geworden. Im internationalen Vergleich können wir feststellen, dass Deutschland die Krise bisher gut bewältigen konnte. Insgesamt haben wir als Gesellschaft alle zusammen das Mögliche getan – jeder in seiner Verantwortung in der Politik, Verwaltung, Familie, Kultur und auch im Sozial- und Gesundheitswesen.

Jeder muss sich an die Hygieneregeln halten und sollte soziale Kontakte einschränken. In den Einrichtungen wird penibel auf Hygiene und Abstände geachtet und jeder einzelne Mitarbeiterin, Leitung, Bewohnerin und Besucherin sowie der Träger ist sich seiner hohen Verantwortung bewusst. Doch trotz aller bestmöglichen Bemühungen beherrschen wir dieses Virus nicht. Bei allen Maßnahmen müssen wir feststellen, dass das Virus seine eigenen Wege geht und die Pandemie nur abgemildert werden kann. Menschen sind infiziert, erkranken und viele sterben auch. Be-stimmte Risikogruppen sind besonders betroffen. Infektionen bereiten sich vor allem aus, wo Menschen eng zusammenleben oder untergebracht sind.

Wenn Fehler in Einrichtungen passieren, müssen diese analysiert und daraus gelernt sowie Verstößen geahndet werden. Mitarbeiterinnen und Leitungen sind oftmals sehr besorgt, dass sie das Virus in die Einrichtungen tragen. Sie sind täglich einem besonderen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Sie schränken ihr Privatleben ein, um andere zu schützen. Sie haben oft das Gefühl, in der Situation nicht allen gerecht werden zu können. Dabei sind Schuldzuweisungen und Generalverdächtigungen das Gegenteil von dem, was sie gerade gebrauchen können. Andere zu Sündenböcken zu machen, um sich selbst vorsorglich aus der Verantwortung zu nehmen, schürt ein Klima der Angst und vergiftet die Atmosphäre, die Besonnenheit verlangt. Vor allem wird suggeriert, dass das Virus bis ins Letzte beherrschbar sei. Warum – so muss man dann fragen – gelingt es bei aller Macht von Politik und Amtsträgerinnen nicht, dieses Virus aufzuhalten?

Wir wollen das konstruktiv-kritische Gespräch in der Gesellschaft, um aus Fehlern und neuen Erkenntnissen zu lernen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Wir brauchen in allen Gruppen der Gesellschaft einen Austausch darüber, dass wir trotz allem Wissen nicht alles beherrschen können und auch Krankheit und Sterben nicht immer verhindert werden können. Wir wollen alle Kräfte bündeln, um besonders die zu unterstützen, die jeden Tag in Einrichtungen, sozialen Diensten und in der Bildung
ihr Möglichstes geben. Wir wollen ein Klima der Solidarität und der Unterstützung fördern, das selbstverständlich jeder Verharmlosung der Pandemie entgegentritt.

Nur mit Gesprächen auf Augenhöhe wird es möglich, gemeinsam diese Zeit durchzustehen und immer wieder denjenigen zur Seite zu stehen, die von der Pandemie besonders betroffen sind – als Risikogruppe, als Erkrankte, als Einzelgruppen und Branchen, die ihre Perspektiven verlieren und als diejenigen, die jeden Tag in den Einrichtungen ihr Bestes geben.

Wir als Wohlfahrtsverbände sind stets ein verlässlicher Partner, mit und ohne Pandemie und unsere Mitarbeiter*innen nehmen täglich die Verantwortung wahr.

Dieser Zwischenruf ist eine Einladung – kommen Sie mit uns ins Gespräch, wie wir der Pandemie zusammen noch besser entgegnen können.

Oliver Bürgel
LIGA-Vorsitzender